herr doktor, ich hab feminismus!



die antwort auf die frage, woher der begriff «feminismus» kommt, ist nicht nur spannend, sondern entblösst auch die tiefste angst des patriarchats. eine tiefe angst, die eigentlich total offensichtlich ist.

aber von vorne: feminismus, schreibt paul b. preciado in seinem text «vergesslicher feminismus», habe seinen ursprung in medizinischen diskursen und nicht etwa in aktivistischen kreisen. «feminismus war der wissenschaftlichen Hypothese faneau de la cours zufolge ein krankheitsbild tuberkulöser männer, bei denen als sekundärsymptom eine «verweiblichung» des männlichen körpers auftrat. […] verweiblicht, ohne «zeugungskraft und empfängnisfähigkeit», erfüllt der tuberkulöse mann nicht länger die voraussetzungen eines männlichen mitbürgers[…].» schreibt preciado. faneau de la cours veröffentlichte seine thesen zu diesem «krankheitsbild» 1871 unter dem schmeichelhaften titel «Du féminisme et de l’infantilisme Chet les tuberculeux». der begriff feminismus wurde in der folge dann auch hauptsächlich als abwertende bezeichnung für männer*, welche sich für ein wahlrecht für frauen einsetzten, benutzt. [1] und erst hubertine auclert war 1882 die erste bekannte suffragette, die den begriff «féministe» auch als selbstbezeichnung verwendete. [2] der französische begriff wurde etwa zur gleichen zeit ins deutsche übertragen – behielt aber lange seine negative konnotation bei und wurde erst 1970 auch von der bewegung selbst verwendet. bis dahin war der begriff «Frauenbewegung» geläufiger.[3]

das körperpolitiken ein teil von macht und herrschaft sind ist klar. patriarchale strukturen schränken seit jeher individuelle freiheiten von marginalisierten personen ein und sprechen ihnen das recht ab, über den eigenen körper bestimmen zu können. und seit jeher geht es in diesem diskurs hauptsächlich um reproduktionsrechte und -pflichten. um die frage wer kinder in die welt setzen soll, kann und muss. die logik funktioniert so, dass der MANN – und nur der MANN [4] – darüber zu bestimmen hat, wann, wie und mit wem er sich fortpflanzt. diese macht ist essenzieller bestandteil des (patriarchalen) MANN-seins. [5] folgerichtig kann ein mann*, der diese macht nicht ausüben kann (oder will) kein MANN sein – schon seine* existenz greift die grundfeste des patriarchats an. er* muss also herabgesetzt werden und erfüllt «nicht länger die Rolle eines männlichen Mitbürgers.» Und da gilt: mann = mensch, ist also der «verweiblichte» mann überhaupt kein mitbürger mehr, sondern «krank». zu der zeit, in welcher hubertine auclert sich für frauenrechte einsetzte, ging es ihr nämlich an erster stelle darum, dass frauen auch als mitbürgerinnen anerkannt und mit wahlrechten ausgestattet werden – und somit auch zu menschen werden. eine person, die sich für dieses anliegen einsetzt, greift also (bis heute) die vormachtstellung des MANNES an. und umso gefährlicher, wenn dies aus den eigenen kreisen kommt, wenn MÄNNER plötzlich «verweiblichen» - quasi zu deserteuren werden. und da ist sie also, die tiefste angst des patriarchats: die «verweiblichung» bzw. die damit einhergehende «entmannung».

so viel zur begriffsgeschichte, aber was bedeutet das konkret? es bedeutet, dass ich – wenn ich mich auf den weg zu diversen medizinischen fachpersonen mache um mit HRT anfangen zu können – als allererstes gefragt werde, ob ich 
a) irgendwann noch kinder kriegen will und 
b) ob penetrativer sex wichtig für mich ist. [6]
es bedeutet, dass Personen, die als männlich gelesen werden sich bis heute für «weibliche» Attribute rechtfertigen müssen, während sich ein grossteil der gesellschaft darauf geeinigt hat, dass «männliche» attribute bei weiblich gelesenen personen nicht ganz so schlimm sind. [7] es bedeutet, dass bis heute nur die klassische kernfamilie (Mutter, Vater und 1-3 Kinder) das heere ziel eines jeden lebens sein soll und als vollwertige familie gilt – ein umstand der gerade auch in den kontakteinschränkungen während corona in vielen ländern zu sehen war. [8] es bedeutet, dass der bund bei mpox (aka. affenpocken) absurd träge reagiert hat [9] und offiziell unterscheidet zwischen «männer[n] die mit männern sex haben sowie trans personen mit wechselnden männlichen sexualpartnern» - wo das Risiko einer Infektion hoch sei – und der sogenannten «allgemeinbevölkerung» - wo das risiko einer mpox Infektion entsprechend gering sei. [10] es bedeutet, dass also auch hier und immer noch und sowieso queere menschen als bürger*innen zweiter klasse und damit als nicht der «allgemeinbevölkerung» angehörig gelten. es bedeutet, dass non-binäre identitäten bis heute bestenfalls ignoriert und schlimmstenfalls negiert werden. es bedeutet auch, dass wir im 21. jahrhundert – während personen, die nicht cis, dia & männlich sind, über enorm komplexe Zusammenhänge schreiben und Feminismus intersektional denken – der feministische diskurs unter cis dia männern auf dem stand von «feminismus ist auch für männer wichtig!» erst langsam anzukommen scheint. [11] dabei sind männliche* feminist*innen enorm wichtig! denn wenn wir uns die begriffsgeschichte anschauen, können wir – wie preciado – feststellen: «die ersten feministen waren also männer.»

so, und was machen wir jetzt mit dem ganzen wust aus politischen theorien und geschichte? 

sowie preciado einen gebärmutterstreik forderte, [12] möchte ich hiermit nun offiziell die verweiblichung des abendlandes ausrufen. ich möchte dem konservativen stimmengewirr ein feministisches Wir entgegenstellen. den stimmen die sagen, europa habe seine MÄNNLICHKEIT verloren. den kriegstreibern und denen, die es werden möchten. all den stimmen, die sagen, trans* sei nur ein hype, all den stimmen, die sich fürchten vor der schwäche, die sich fürchten vor der queerness. all den rassistischen, sexistischen und ableistischen, den trans*phoben stimmen. den stimmen, die uns bei namen nennen, die nicht die unsrigen sind und die stimmen, die zu wissen glauben, wer wir sind. auch den stimmen in uns. all diesen stimmen, setzen wir ein feministisches stimmengewirr entgegen und brüllen ihnen entgegen: 

dann macht doch einfach mit! springt auf den zug auf, werdet trendy, sexy und impotent! fürchtet euch nicht und führet euch in versuchung! wir beissen nicht – und wenn dann nur consensual! wir wollen euch nur von unserer ideologie überzeugen – mehr nicht! wir empfehlen geschlechtsangleichende massnahmen für alle und schrecken auch nicht davor zurück, eure kinder zu indoktrinieren! wir bewerben die abtreibung und feiern die menstruation! wir gehen dahin wo’s weh tut und sind so verletzlich dass eure gestählten körper an uns kaputtgehen! wir – die trans* lobby und alle anderen anderen – sind mächtiger als ihr denkt! wir infiltrieren das gesundheitswesen, die gastronomiebetriebe, die schulen und stürzen die banken! wir haben feminismus und wir werden euch alle anstecken! unsere keime schweben schon in der luft, denn gegen feminismus hilft auch keine kernfamilie! und gegen queernes sowieso nicht! wir wollen nicht nur uns selbst, sondern auch alle anderen entMANNEN! wir lassen euch durch unsere pure existenz brüste und bärte wachsen! unsere existenz entmannt euch! wir verweiblichen euch! wir packen das patriarchat bei den eiern und reissen sie ab! wir kastrieren alles, was sich uns in den weg stellt und fordern die radikalste, umstürzlerischste und gefährlichste idee, die auf diesem planeten jemals existiert hat. eine Idee, die so umfassend und gnadenlos ist, dass SIE vor keinem individuum halt macht, auf alle anwendbar und universal gültig ist. wir fordern das recht, über den eigenen körper bestimmen zu dürfen!



[1] Paul B. Preciado; Ein Apartment auf dem Uranus, Chroniken eines Übergangs; 1.Auflage 2020, edition suhrkamp; S.97-100, «Vergesslicher Feminismus»
[2] https://books.google.de/books?id=snlkEXmo_mYC&pg=PA19#v=onepage&q=feminism&f=false; S19
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Feminismus#cite_ref-23; «Internationale Verbreitung des Gallizismus»
[4] weiss, bürgerlich oder noch richer, able, dia- und cisgeschlechtlich
[5] Nicht wegen nichts erleben wir gerade einen Backlash, wenn es um basale Menschenrechte wie Abtreibung etc. geht.
[6] Die Fragen werden natürlich ein bisschen weniger direkt gestellt und ein bisschen höflicher umschrieben – aber meistens ist es basically genau das, was gemeint ist.
[7] aber natürlich immer noch nicht gut. versteht sich ja von selbst.
[8] https://www.globalcitizen.org/de/content/how-covid-19-is-affecting-lgbtq/; Stand: 17.08.2024
[9] https://www.republik.ch/2022/08/11/der-sonderfall-schweiz-laesst-den-affenpocken-freie-bahn; Stand: 16.03.23
[10] https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/krankheiten/krankheiten-im-ueberblick/mpox.html; Stand: 16.03.23
[11] vgl. dazu: Boys don’t cry von Jack Urwin und Sei kein Mann von JJ Bola – beides Bücher in denen zwar sehr viel richtiges und wichtiges steht, leider aber auch nicht besonders viel neues. Dafür werden sie (für meinen Geschmack) ein bisschen zu sehr gefeiert.
[12] Paul B. Preciado; Ein Apartment auf dem Uranus, Chroniken eines Übergangs; 1.Auflage 2020, edition suhrkamp; S.81-84, «Den Gebärmutterstreik ausrufen»